Wer sind wir ?
«Médecine de la Personne» ist der französische Titel eines Buches, das 1940 von einem Allgemeinpraktiker in Genf, Dr. Paul Tournier, publiziert worden ist. Er war davon berührt, dass zu einem Zeit-punkt, als die psychosomatische Medizin noch in den Kinderschuhen steckte, die Krankheit nur organisch betrachtet wurde. Der Patient wurde nicht als Ganzes erfasst, neben der physischen wurden die psychischen und die geistigen Dimensionen nicht berücksichtigt. Er lud in der Folge Kollegen aller Fachrichtungen sowie Philosophen ein, diese Gedanken mit ihm zu teilen und organisierte jährliche Tagungen. Ab 1947 nahmen diese unter dem Titel «Internationale Tagung der Medizin der Person» grenzüber-schreitenden Charakter an.
Dr. Paul Tournier starb 1986. Seine Kollegen und Freunde organisieren diese Tagungen weiter. Damit geben sie Allgemeinpraktikern und Spezialisten die Gelegenheit, über die Art ihrer Beziehung zum Patienten und über die Probleme, denen sie in ihrer Praxis begegnen, gemeinsam nachzudenken. Die inter-nationale Herkunft der Teilnehmer und die verschiedenen Länder, in denen die Tagungen stattfinden, erweitern das kulturelle Verständnis und sind für die praktische Tätigkeit bereichernd. Natio-nale Gruppen wurden auch in Gross-britannien und den USA, hier unter Einbe-zug von Kirchenvertretern, gegründet.
«Medizin der Person» bezeichnet die Ein-stellung und Haltung gegenüber der Person des Patienten, ohne Rücksicht auf die Spezialisierung des Arztes. Sie betont das Bewusstwerden der Person in ihrer Ganzheit sowie in ihrem gesellschaftlichen und sozialen Umfeld. Zur Medizin der Person gehören sowohl das organ-bezogene als auch das psychologische Vorgehen, unter Berücksichtigung der Zusammenhänge zwischen Gesund-heitszustand, Lebensereignissen, sozialer Stellung und geistiger Einstellung. («Das Wesentliche beim Menschen — sagt Aristoteles — ist sein geistiges Leben»). Die Vereinigung hat eine christliche Grundlage, ist aber offen für Menschen aus allen Heilberufen, die diese Grundwerte teilen.
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Der Arzt versucht, mit seinem Patienten einen persönlichen Kontakt aufzubauen; dies hat sowohl einen therapeutischen als auch einen vorbeugenden Effekt. Vom Arzt verlangt dies — ausser seiner Verfüg-barkeit — Bereitschaft zum Zuhören und eine vertiefte Kenntnis seiner selbst.
Abgesehen vom wissenschaftlichen Inter-esse der Vorträge liegt der besondere Wert der Tagungen in gemeinsamen über-konfessionellen Andachten. Die Themen der Vorträge und das persönliche Echo können in kleinen Gruppen diskutiert werden. Die individuellen Kontakte wer-den durch die Art der Tagungshäuser ge-fördert.
Die Medizin der Person hatte zu Beginn der psychosomatischen Sichtweise avant-gardistischen Charakter. Sie bleibt jedoch auch heute höchst aktuell, zu einem Zeitpunkt, wo technische Fortschritte in der Medizin und wirtschaftliche Zwänge das «Menschliche» zu rein biologischen, aber technisch reparierbaren Funktions-störungen zu reduzieren drohen.
Bisher richteten sich die Tagungen der internationalen Gruppe ausschliesslich an ÄrztInnen und ihre PartnerInnen. Es scheint nun aber sinnvoll, diese Gruppe zu erweitern, um auch Gleichgesinnten aus anderen Heilberufen die Teilnahme daran zu ermöglichen.
Madeleine Rüedi-Bettex
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